Dieses schöne Mietshaus in der Weidengasse hätte noch schöner werden können

Zwei Zwillingshäuser mit den Hausnummern 5 und 6 und der charakteristischen roten Fassade. Für manche beginnt hier eben die Weidengasse. Obwohl es nicht stimmt, denn die Weidengasse beginnt doch an der Kreuzung mit Langgarten, dort wo heute die doppelgeschossige Biedronka (Lebensmittelladen) steht, gegenüber die Apartmenthäuser Garden Gates entstehen, und dann läuft sie in unsere Richtung weiter, an der Musikakademie vorbei, um an der Ost-West Tangente kurz stehenzubleiben. Doch nicht nur das wissen die meisten nicht, die meisten sind sich auch dessen nicht bewusst, dass an der Wände zwischen den siebziger und den achtziger Jahren oder früher, auf der anderen Seite der Straße auch noch ein weiteres Haus stand. Ein großes Mietshaus mit der Hausnummer 4. In den Kindheitserinnerungen kommt es meistens wegen Puppenhaus oder Möbel für das Puppenhaus vor, weil es dort jahrelang einen Laden gab, in dem man Spielzeug, Bürobedarf und Sportrtikel kaufen konnte (auf dem Bild sieht man den Laden auf der rechten Seite mit Eingangstreppe an der Hausecke). Manche Erwachsenen erinnern sich sicher an den Geschmack der Milch und des Quarks aus dem Laden, den es unter der gleichen Adresse gab (auf dem Bild auf der linken Seite. Es ist der Laden, der Wand an Wand mit dem Alkoholladen benachbart war). Sowohl die jüngeren als auch die älteren erinnern sich wohl an den Fotoladen von Herrn Bruniec (auf dem gleichen Bild sieht man den Eingang zu dem Laden direkt neben der charakteristischen Säule unter dem verzierten Erker). Würden wir das Haus von oben betrachten, so hätte es einen Grundriss in C Form. Die Fenster der anderen, niedrigeren Hälfte des Hauses, die parallel zu Weidengasse verlief, schauten in Richtung Schilfgasse und auf die nahgelegenen Schuppen. Dank einer solchen Form gab es hinter dem Haus einen offenen Innenhof zur Kaserne, bzw. heute Musik-Akademie, hin. Obwohl man auf dem Bauplan aus der Vorkriegszeit sieht, dass da ein richtiger Innenhof auf der anderen Seite war – hinter der Rückseite des zweiten Hauses. Man sollte auch bedenken, dass dieses Haus vor dem Krieg gar nicht das erste Haus an dieser Stelle war. An der Ecke Weidengasse/Reitergasse stand noch ein weiteres Haus mit der Nummer 3. Somit war der Innenhof nicht nur von drei Seiten abgegrenzt, sondern höchstwahrscheinlich auch noch von der vierten Seite, so wie es der Fall war, und immer noch ist, innerhalb der vorher erwähnten Häuser mit den Hausnummern 5-6.

Aus welchem Jahre stammt das Haus in der Weidengasse 4, könnte man sich fragen. Wenn ihr das Baujahr nicht kennt, reicht es nur, sich eines der Aufnahmen dieses Hauses aus der Vorkriegszeit anzuschauen, auf der man die Front des Hauses sieht. Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass auch ich jetzt erst genau hingesehen und das Jahr 1901 bemerkt habe. Nach ungefähr 80 Jahren wurde das Haus plattgemacht, um der Brücke der Ost-West-Tangente Platz zu machen.

Man soll auch wissen, dass die Ansicht des Hauses, das man auf dem Nachkriegsfoto sieht, gar nicht dem ursprünglichen Projekt entspricht. Und es geht hier gar nicht darum, dass es nach dem Krieg vielleicht wiederaufgebaut wurde. Ich wage es zu behaupten, dass das Haus den Krieg unversehen überstanden hat. Vielleicht mit kleinen Schäden an der Frontfassade. Also kann man annehmen, dass so wie es im Jahre 1901 gebaut wurde, auch zig Jahre später noch ausgeschaut hat. Es geht mir vielmehr darum, dass bevor der Entwurf des Architekten im Jahre 1900 genehmigt wurde, sein erstes Konzept ganz anders war.

Denn ursprünglich wurde das Haus als sogenanntes Geschäftshaus im Jahre 1898 geplant. Und diesen Entwurf präsentieren wir hier, vielleicht als die Ersten, einem breiteren Publikum. Sicherlich sticht allen zuerst ins Auge diese schmucke Figur, die auf der Front des Hauses thronen und ihn schmücken sollte. Und vielleicht sollte gerade diese Figur es den Menschen erleichtern, dieses Haus in der ganzen Hausreihe entlang der Weidengasse leichter zu erkennen. Doch wen stellte die Figur dar? Einen Reiter, einen Heiligen? Vielleicht den heiligen Georg? Ganz oben sieht man noch drei Schornsteine. Zwei kleine, jeweils am Ende des Daches links und rechts, und einen größeren links von der Figur. Der Architekt hat in seinem Projekt ganz klar den Zweck alldieser Elemente definiert. Aus jedem der Schornsteine, wie man sieht, steigen kleinere oder größere Rauchwölkchen. Auf beiden Seiten des Tores sieht man große Bögen über den großen Ladenfenstern und der Eingangstür. Beide sind symmetrisch gegenüber der Mittelachse, die aus dem Durchgangstor zum Hinterhof und einem Erker besteht. Also dachte man bereits damals daran, die Räumlichkeiten im Erdgeschoss für Dienstleistung oder Geschäfte zu nutzen. An der Ecke sieht man ein kleines Fenster, vielleicht von der Wohnung, die mit einem der Ladenlokale verbunden war.
Auf der Höhe der obersten Etage sieht man auch zwei in die Wand integrierten Metallelemente, die in ihrer Form an Blumen oder Rosetten erinnern. Die Fenster im Erdgeschoss, in der ersten, zweiten und dritten Etage wurden in zwei ungleiche Teile aufgeteilt. Der obere Fensterteil wurde in schmale Streifen unterteilt. Der Blick auf die Rückseite des Hauses zum Innenhof zeigt uns, dass auch hinten ein abschüssiges Dach mit Schornsteinen gebaut werden sollte. Auch das senkrecht angeschlossene Haus sollte über ein solches Dach verfügen.

Wir wissen es leider nicht, warum dieses Projekt in dieser, sagen wir mal, großzügigen Form, nicht umgesetzt wurde. In den bis heute erhaltenen Baudokumenten sieht man, dass man an diesem Projekt mit rotem Stift ziemlich viele Veränderungsvorschläge angebracht hat. Und das sowohl was die mathematischen Berechnungen, als auch die technischen Zeichnungen betrifft. Ob man aufgrund dieser Beanstandungen den Architekten mit der Nichtumsetzung dieses Projektes belasten darf? In diesem Falle wollen wir nicht in die Rolle der Richter schlüpfen. Denn vielleicht wechselte man den Architekten aus dem oder jenem Grund? Vielleicht hat sich der Investor bei den Kosten verschätzt? Oder vielleicht änderten sich auch die bautechnischen Bedingungen in dem Teil der Niederstadt.

Im November 1900 wurde das neue Projekt präsentiert. Auf diesem Projekt wurde auch vermerkt, dass es auf dem ursprünglichen Projekt vom 2. November 1898 basiere. Es gibt an der Spitze des Hauses keine charakteristische Figur eines Mannes in Rüstung mehr. Es verschwanden auch alle Schornsteine. Die kleinen Säulen am Giebel des Hauses links und rechts sehen schon ganz anders aus, die verzierten Rosetten aus Metallstangen wurden auch wegradiert. Es fehlt auch das kleine Dachfenster auf der rechten Seite. Und im Erdgeschoss verschwand komplett die Symmetrie der Eingänge zu den Läden, einen von ihnen hat man ganz nach rechts an die Ecke verschoben. Bei der Gelegenheit verkleinerte man auch optisch die Breite der Ladenfenster. Auf die Art und Weise kam noch eine Eingangstüre im Erdgeschoss hinzu, mit dahinterliegendem Treppenhaus (beim ursprünglichen Projekt erreichte man das Treppenhaus von hinten, nachdem man zuerst durch das Durchgangstor in den Hinterhof gelangte, beziehungsweise durch einen Seiteneingang im Durchgang). Das neue Treppenhaus ging natürlich auf Kosten der Räume im Erdgeschoss. Und der Eingang zum Treppenhaus mitten im Durchgang zum Hinterhof wurde auch wegradiert. Wenn wir jetzt nun die Fenster unter die Lupe nehmen, so sieht man, dass die oberen Fensterteile nicht mehr so dicht aufgeteilt sind wie früher. Mehr noch, in der dritten Etage wurde noch ein Querbalken eingeführt und dadurch der obere Teil der Fenster in noch kleinere, fast quadratische Elemente aufgeteilt. Etwas anders schauen auch die Verzierungen über dem Durchgangstor aus. Bei der Seitenansicht sieht man, dass man auch auf die schrägen Dächer bei den anderen zwei Hausteilen verzichtet hat. Es verschwand auch jede Spur von den hohen Schornsteinen auf allen Dächern. Bei dem Verbindungsstück kann man noch eine Veränderung feststellen. Dort wo es vorher drei identische Fenster auf jeder Etage gab, wurde die Anzahl der Fenster um jeweils eins in jeder Reihe reduziert. Und dort, wo es auf jeder halben Etage im Treppenhaus zwei Fenster in verschiedener Breite, jedoch in gleicher Höhe gab, wurde im neuen Projekt auch die Höhe der Fenster unterschiedlich gestaltet. Und nun ist das eine Fenster schmäler und niedriger und das zweite breiter und höher. Auch die Fenster am Verbindungsbau, die dem Fronthaus am nächsten stehen, wurden verkleinert. Und zwar soweit verkleinert, dass sich noch Platz für ein weiteres Fenster unter dem Dach fand. Ganz anders ging man bei dem Verbindungshaus zum hinteren Teil des Hauses mit der Fensterreihe um. Hier wurden zwei Fenster unter dem Dach wegradiert und dafür die anderen vier vergrößert. Dadurch konnten auf jeder Etage alle Fensterreihen gleichmäßig verteilt werden, sowohl was die untere als auch die obere Fensterlinie betrifft. Um den Vergleich zu erleichtern publizieren wir hier beide Projekte nebeneinander, sowohl von vorne als auch in der Seitenansicht.

Auf dem Grundriss der einzelnen Etagen des Hauses vom 1900 sieht man auch ganz genau im Dachgeschoss den Platz für ein Fotoatelier. Der Raum sollte die Größe 9,9 × 4,51 m2 haben. Zu erreichen von Innen, also vom Treppenhaus in Verbindungsteil aus. Und somit gelang es uns, das Fotoatelier von Fritz Krause zu finden, obwohl ich zugeben muss, dass es für mich eine ziemlich große Überraschung war, zu erfahren, dass sein Atelier ganz oben und nicht im Erdgeschoss des Hauses war.

Und anschließend noch eine Information. Zu der Zeit, als die Projekte des Hauses entstanden, wurde ihm die Hausnummer Weidengasse 1d zugewiesen. Erst einige Jahre später veränderte sich die Nummerierung und es bekam die Hausnummer 4.

Die quadratischen Aufnahmen des Hauses in der Weidengasse 4 stammen von Eugeniusz Kozłowski und sind im Besitz des Textautors. Die anderen schwarzweiss Aufnahmen der Häuser in der Weidengasse 4, 5 und 6 wurden gemacht von Artur Wołosewicz. Quelle: Sobiecka L., Kaliszczak M. (red.), Gdańsk – Dolne Miasto. Dokumentacja historyczno-urbanistyczna, PP Pracownie Konserwacji Zabytków Oddział w Gdańsku Pracownia Dokumentacji Naukowo-Historycznej, Gdańsk 1979. Skizzen und Baupläne des Hauses in der Weidengasse 1 d stammen aus dem Staatsarchiv in Danzig (Archiwum Państwowe w Gdańsku Wałowa Str. 5. Numer jednostki 8/3774. Numer jednostki aktowej 10/15/0/-/2482).

Text: Jacek Górski.

Übersetzung – Andreas Kasperski.

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