Häuser auf der Speicherinsel


Über 100, über 200, und es gab sogar Zeiten, in denen es über 300 waren. Je nach dem in welchem Jahrhundert, standen auf der Speicherinsel mehr oder weniger erdgeschossige oder auch mehrgeschossige Lager, sogenannte Speicher, die mit Waren gefüllt waren, die gerade entladen, vorbereitet zum Beladen oder ganz einfach für einen bestimmten Zweck dort gelagert wurden. Doch als das hier präsentierte Bild gemacht wurde, waren die Zeiten der dichten Bebauung der Speicheinsel längst vorbei. Es reicht zu sagen, dass die einzige symbolische Spur eines Speichers (denn einen ganzen Speicher kann man auf dem Bild nicht sehen) die übriggebliebene Backsteinmauer an den Neuen Mottlu ist. Eine Mauer, die noch ziemlich lange nach dem II Weltkrieg an dieser Stelle stand und ein Überbleibsel des Speichers Kamel war. Man lief an dieser Mauer jeden Montag und jeden Donnerstag auf dem Weg zum Wochenmarkt in der Hopfengasse vorbei. Sollte jemand die Mauer vergessen haben, so kann er sich an sie anhand des am Ende dieses Artikels angehängten Bildes erinnern.

Also wenn es schon keine Speicher mehr sind, dann was? Eine der Antworten findet man immer noch in der Hafer und Stützengasse. Bis heute stehen dort die letzten Wohnhäuser in diesem Teil der Innenstadt. Die letzten von der Hopfengasse her. Und dabei sollte man wissen, dass diese Hausreihe fast bis an die Neue Mottlau reichte. Und gerade die letzten Häuser von der ganzen Reihe, aber an anderem Ende, sieht man deutlich auf dem unteren Bild. Das erste Haus links ist ein dreistöckiges Wohnhaus mit Erkern an den Ecken, in der heute nicht mehr existierenden Brandgasse. Auf dem Stadtplan hatte das Haus die Hausnummer 10. Wenn man die Gasse verlängern würde, würde die Reitergasse ihre Verlängerung innerhalb der Niederstadt bilden. Heute verläuft auf der Höhe die Brücke der Ost-West-Tangente. Das nächste sichtbare Haus mit drei Stockwerken und einem Dachgeschoss, mit Fenstern zu An der Neuen Mottlau hin, wie auch mit verzierten Fensterbrettern, steht ungefähr zwischen der früheren Mausegasse (nach dem Krieg Hafergasse) und der Stützengasse. Aller Wahrscheinlichkeit nach verlief die Stützengasse genau dort, wo die Südseite des weißen erdgeschossigen Hauses, Baracke, Lagers, dessen Front mit abschüssigem Dach hinter dem angelegten Schiff zu sehen ist. Eine auf diesem Bild nicht sichtbare Gasse ist die Kiebitzgasse, auf der es sogar einen Abstellgleis gab, der von der Hopfengasse weg ging. Das Bild wurde unter einem solchen Winkel gemacht, dass kein einziges Haus von der früheren Mäusegasse zu sehen ist. Obgleich ein aufmerksames Auge sicherlich Fragmente eines Mietshauses erkennt. Dafür weiter hinten sieht man schon deutlich einige charakteristische Elemente der damaligen Landschaft. Nämlich einen Teil der kleinen Milchkanne und die Spitze der großen Milchkanne. Das typische Eckhaus an der Straßenecke zwischen Langgarten und Schäferei, wie auch weitere Häuser in den eben erwähnten Straßen. Das Ganze wird noch ergänzt durch die damals noch funktionierende und gerade herabgelassene Mattenbuden-Brücke.

Doch gehen wir jetzt in die Straße, von der aus das Bild aufgenommen wurde, den Steindamm. Von rechts aus sehen wir zuerst einen Teil der Holzbebauung, so etwas wie Schuppen, und zwei nebeneinander angelegte Boote. Auf dem zur Mitte der Neuen Mottlu hin, sieht man zwei Personen in weißer Kleidung. Auf dem Sand entlang läuft uns entgegen ein Junge zwischen 5-6, vielleicht sieben Jahre alt, angezogen in kurzer Hose und ein Hemd mit langen Ärmeln. Wenn wir nun nach links sehen, erkennen wir Mützen auf den Köpfen der zwei Personen, die sich am Ufer beugen. Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren, was sie gerade zu diesem Zeitpunkt und an dem Tag dort machten. Und die letzte Person, die noch nicht erwähnt wurde, die jedoch das Gesamtbild ergänzt, ist ein weiteres Kind (wahrscheinlich auch ein Junge), der mit dem Rücken zum Fotografen steht und ins Wasser schaut. Ist es möglich, dass all die Personen, vor allem die Kinder, vor dem Krieg dort am Steindamm wohnten?

Zum Abschluss kann man noch der Versuchung nachgeben und auf die Frage zu antworten versuchen, was dort dieses relativ große Schiff unter norwegischer Flagge machte? Als historische Spur kann uns hier die Tatsache dienen, dass in der Kiebitzgasse in den Jahren 1892-1929 die Westpreußische Zuckerraffinerie Otto Eandried funktionierte. Später an derselben Stelle gab es Lager, Kühlräume und Büros der Firma Braun, Ernst & Co, die auf die Speicheinsel unter verschiedenen Adressen tätig war: in der Mausegasse von 1908-1913, in der Hopfengasse von 1913-1932 und in der Kiebitzgasse eben von 1933 bis 1942. Spätere Angaben diesbezüglich fehlen. Es war eine Firma, die sich mit dem Import und Großhandel von Seefischen und genauer gesagt von Heringen beschäftigte. Ein Schiff aus Norwegen plus Heringe plus Kiebitzgasse in den dreißiger Jahren, dieses Konzept scheint sehr wahrscheinlich zu sein.

Die Originalaufnahme aus der Vorkriegszeit stammt aus der Sammlung der Geschichtserzähler der Niederstadt in Danzig. Autor der Aufnahme mit den Überresten des Speichers Kamel ist Tomasz Woroniecki. Die Anzeige erschien in „Księga adresowa przemysłu, handlu i finansów” im Jahre 1922, herausgegeben vom Ministerium für Handel und Industrie.

Text: Jacek Górski

Übersetzung – Andreas Kasperski.

Możesz również polubić…

Dodaj komentarz

Twój adres e-mail nie zostanie opublikowany. Wymagane pola są oznaczone *