Hühnerberg 9 / Kurza 9
1936 beschlossen Karl und Anastasia Müll, von Graudenz nach Danzig zu ziehen, weil Graudenz nach dem Versailler Vertrag im so genannten polnischen Korridor lag und sich die deutschstämmige Bevölkerung dort zunehmend verfolgt fühlte. In der Freien Stadt Danzig hatten sie Verwandte und fühlten sich sicherer. Um ihr Einkommen durch Mieteinnahmen zu sichern, beschlossen sie, ein Mietshaus in der Niederstadt in der heutigen Kurza-Straße 9 (Hühnerberg) zu bauen.
Zur gleichen Zeit begannen sie mit dem Bau einer eigenen Villa in Oliva, in der Nähe der Fabrik von Dr. Oetker. Bis zur Fertigstellung des Baus beschlossen sie, in einer der Wohnungen mit der Nummer 7 zu wohnen. Als der Krieg zu Ende ging, waren nur die Fundamente der Villa in Oliva fertig. Da die Männer an der Front waren und die Frauen allein gelassen wurden, beschlossen sie, wie die meisten deutschstämmigen Einwohner, aus Danzig zu fliehen. Unglücklicherweise erkrankte die Enkelin der genannten Karl und Anastasia, Sabina Rode. Alle hatten Angst, dass sie diese Flucht nicht überleben würde. Deshalb kehrten sie in ihre kleine Wohnung in der Kurza-Straße zurück.
Bei ihrer Rückkehr mussten sie feststellen, dass das gesamte Haus von Soldaten der Roten Armee durchwühlt worden war. Als sie die Wohnung betraten, mussten sie mit Entsetzen feststellen, dass sich die Eindringlinge nicht nur in den Blumentöpfen, sondern auch auf dem Sofa und auf dem Teppich „entleert“ hatten. Alles musste rausgeschmissen werden. In dem schönen Danziger Schrank schossen die Russen durch einen Kristallspiegel. Mein Vater Wiktor Krajewski, der mit mir und meiner Mutter Gertraud in der Weidengasse 32 wohnte, beschloss, sich um die einsamen Frauen zu kümmern, die er bereits kannte, zumal die Russen damals begonnen hatten, die Weidengasse (heute Łąkowa) zu plündern. Auf dem Dachboden in der Kurza-Straße schlug mein Vater ein kleines Fenster ein und richtete dort ein kleines Zimmer ein, in dem er sich niederließ, während die Mädchen und ich uns vorübergehend noch in der Weidengasse 32 versteckten. Um Repressalien seitens der Russen zu vermeiden, brachte er an der Eingangstür ein Schild an: „Haus von Russen besetzt“. Meine Mutter war zu dieser Zeit schwanger und lag im Marienkrankenhaus, wo sie nach der Geburt meiner Schwester starb. Mit der Familie Müll und Rode bekam ich eine neue Mutter, Großmutter und Schwester. Und so lebte ich bis Ende der 1960er Jahre in der Kurza-Straße 9, bis ich zu arbeiten begann und eine Wohnung bekam, nachdem ich geheiratet und ein Kind bekommen hatte.
Meine Pflegemutter, Christel Rode, lachte oft darüber, dass sie nur vorübergehend in dieser kleinen Wohnung wohnen sollte, bis die Villa in Oliva fertiggestellt wird, aber sie blieb bis ans Ende ihrer Tage hier. Da die Eigentümer des Hauses nicht in der Lage waren, es von den Mieteinnahmen zu unterhalten, beschloss Oma Müll, das Haus zu verkaufen. Sie versprach mir, dass ich ein schönes Geschenk bekommen würde, wenn dies gelingen würde. Leider kam der Verkauf nicht zustande, und ich habe mein Geschenk bis heute nicht erhalten. Letztendlich wurde das Haus von der Stadt Gdańsk übernommen.
Ich erinnere mich auch daran, wie die Krankenwagen und die Feuerwehr, die die Kurza-Straße passierten, Teile des von den Russen zerschossenen Spiegels herausfallen ließen.
Ich bin heute entsetzt, wenn ich die Nachrichten über den Krieg in der Ukraine höre, dass die Russen, obwohl 77 Jahre seit ihrem Einmarsch in Danzig vergangen sind, heute genau die gleichen Verbrechen begehen wie damals und immer noch in Blumentöpfe, auf Sofas und Teppiche k… und Frauen und Kinder vergewaltigen… Es hat sich nichts geändert. … Das Grundstück und die gebauten Fundamente des Hauses in Oliva wurden von der Familie Müll verkauft, um zu überleben. Kristel Rode erzählte, dass sie für den Gegenwert ein paar Würfel Butter kaufen konnte … Nach dem Tod der Familien Müll und Rode gelang es mir, die schöne Danziger Anrichte zu retten und einen neuen Kristallspiegel einzusetzen, aber das Einschussloch in der Holzumrandung ist noch heute sichtbar …
Es erinnerte sich und teilte ihre Fotos: Rosemarie Kasperska
Übersetzung – Andreas Kasperski.