Kurz ausfallen, um gut auszufallen
Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in der Niederstadt an der Kreuzung Weidengasse (Łąkowa) und Reitergasse 3 (Ulanska) ein Restaurant, das den Namen „Alt-Preußen“ trug. Wir haben es im Dezember 2021 erwähnt, als wir eine Postkarte mit der Ansicht der Innenräume dieses Restaurants beschrieben.
Lieber Chef – ich gehe nur kurz raus. Eins, zwei und ich bin zurück….
Sie sehen ja, was für ein Betrieb wir heute haben. Und alles deutet darauf hin, dass es noch mehr wird…
Aber lieber Chef – zehn, höchstens fünfzehn Minuten und ich bin wieder da. Morgen komme ich eine Viertelstunde früher und bleibe länger. Ich verspreche es. Ein Ober hält immer sein Wort.
Also gut. Geh mir auf einem Bein aus dem Weg. Aber morgen bist du eine halbe Stunde früher da als alle anderen.
Danke, Chef. Mach ich.
Ohne einen Moment der versprochenen fünfzehn Minuten zu verschwenden, rannte der junge, elegant gekleidete Kellner aus dem Alt Preußen und bog rechts ab. Er brauchte nicht weit zu laufen. Er blieb vor der Tür des nächstgelegenen Mietshauses stehen und lenkte seine Schritte zu jemandem, mit dem er bereits verabredet war. Im Korridor kam er an einem Soldaten vorbei. Man konnte die Zufriedenheit auf dem Gesicht des Mannes in Uniform sehen. Wahrscheinlich hatte er gerade das abgeholt, wofür er gekommen war, und freute sich schon auf den Moment, in dem er sich alles in Ruhe ansehen konnte. Und dann wird er vielleicht seinen Kameraden vom Regiment etwas schenken oder es seiner Geliebten schicken…
Irgendwann wird der besagte Kellner sicher auch mit einem ähnlichen Gesichtsausdruck gehen. Aber jetzt noch nicht. Denn um so ausgehen zu können, muss man gut ausgefallen sein… Das klingt ein bisschen rätselhaft. Aber wir werden diese Angelegenheit nicht unerklärt lassen.
Guten Morgen Herr Krause.
Hallo, verehrter Kunde.
Herr Krause. Ich weiß, Sie hassen Eile, denn in Ihrem Beruf ist die Zeit nicht Ihr Verbündeter. Aber ich will ehrlich sein und sagen, dass ich nur eine Viertelstunde von meinem Chef bekommen habe. Können wir das tun?
Junger Mann. In der Tat – in diesem Beruf sind nicht wir es, denen sich die Zeit anpassen muss, sondern umgekehrt. Also lassen Sie uns keine Minute verschwenden. Ich lade Sie in den nächsten Raum ein.
Mit ein wenig Verspätung, aber so wenig, dass man es ihm verzeihen konnte, kehrte der Kellner an seinen Arbeitsplatz zurück und begann wieder, die Gäste des Restaurants zu bedienen. Und am nächsten Tag kam er – wie er es versprochen hatte – früher als geplant in der Weidengasse an und zog sich nicht pünktlich zur vereinbarten Zeit um, sondern bediente die Gäste ein Dutzend Minuten länger.
Und als der Tag gekommen war, verließ er nach seiner Kellnertätigkeit das Restaurant und ging direkt zu dem Ort, an dem er vor nicht allzu langer Zeit den lächelnden Soldaten getroffen hatte. Diesmal traf er niemanden an der Eingangstür. Er ging ein paar Schritte weiter, öffnete eine andere Tür und betrat den ihm nun vertrauten Raum. Herr Fritz grüßte ihn und schaute dann einen Moment lang in sein Gesicht, um sich zu erinnern, ob er ihn schon einmal gesehen hatte.
Und als ihm einfiel, dass es noch gar nicht so lange her war, dass dieser junge Mann ihn in einer Kellneruniform mit einem Tablett unter dem Arm besucht hatte, lenkte er seine Schritte zu dem hölzernen Bücherregal, in dem er kleinere oder größere Umschläge aufbewahrte.
Mit den Soldaten war es nicht so einfach, denn sie besuchten ihn regelmäßig. Und ihre Gesichter verschmolzen für ihn schon langsam miteinander. Aber bei den Zivilisten, die er sozusagen privat bediente, war es ganz anders. Kinder und Erwachsene, Ehepaare und größere Familien – solche Menschen gab es leider viel seltener, so dass jeder dieser Besuche erfreulich und leichter zu merken war.
Er fand den gesuchten Umschlag ohne Probleme, schaute hinein und nickte zum Zeichen, dass alles stimmte. Er ging zum Schalter und übergab den Umschlag seinem neuen Besitzer. Er zählte das Geld, das auf dem Tresen lag, und nickte erneut, diesmal zum Zeichen, dass es stimmt. Der Kellner nahm langsam und behutsam den Inhalt aus dem Umschlag. Er betrachtete ihn und nickte dieses Mal bewundernd.
Herr Krause. Ich danke Ihnen vielmals. Sie sind zweifellos ein richtiger Künstler. Sie haben Talent!
Ich danke Ihnen, junger Mann, für Ihre freundlichen Worte. Die Erfahrung tut ihre Arbeit. Das lässt sich nicht leugnen. Ich mache diesen Job schon seit einem Dutzend Jahren.
Vielen Dank, Herr Krause. Sie sind wunderbar. Ich werde Ihre Firma an meine Freunde weiterempfehlen.
Das würde mich sehr freuen.
Als der Kellner mit dem Umschlag, den er soeben abgeholt hatte, das Gebäude verließ, ging er an einem hochgewachsenen, prächtigen Soldaten in Galauniform in der Tür vorbei. Er lächelte ihm zu und ging die ganze Zeit mit einem Lächeln im Gesicht nach draußen. Er hatte Grund, sich zu freuen, denn dort, was er in dem Umschlag hatte, war er tatsächlich gut ausgefallen. Und dann war da noch das originale militärische Äußere … und diese preußischen Symbole … etwas Wunderbares. Er war entzückt.
In dem Gebäude neben dem oben erwähnten Restaurant betrieb Fritz Krause, der einzige Fotograf im Viertel, fast die ersten 20 Jahre des 20. Jahrhunderts sein Atelier. In der Niederstadt hatte er keine Konkurrenz. Soldaten aus der nahegelegenen Kaserne (in der sich heute die Musikhochschule befindet) brauchten nur die Straße zu überqueren und waren schon fast in besagtem Fotoatelier. Aber sie waren nicht diejenigen, die den kürzesten Weg zum Atelier von Fritz Krause hatten.
Wer weiß, ob es so war… Wer weiß, ob es so war….
Das Gebäude mit der Nausnummer 3. ist nur noch auf alten Fotos und Postkarten zu sehen. Das Gebäude mit der Nummer 4. hingegen stand nach dem Krieg mehrere Jahrzehnte lang an derselben Stelle. Es beherbergte einen Spielzeugladen und eines der Fotogeschäfte von Herrn Waldemar Bruniec.
Der Autor der imaginären Geschichte über den Kellner, die auf einem veröffentlichten Porträt basiert, ist Jacek Górski.
Das ausgestellte Originalfoto stammt aus der Sammlung der Geschichtserzähler der Niederstadt in Danzig.
Übersetzung – Andreas Kasperski.