Langgarten vom Balkan
Die Jahre 1906, 1907 und 1916. Bis jetzt haben wir bereits dreimal den Blick auf die Ecke der Straßen Langarten/Mattenbuden aus der Vorkriegszeit präsentiert. Und zwar, von der Seite der Milchkannen. Jedoch wie man anhand der Daten feststellen kann, waren es nur Ansichten aus den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Doch wie sah dieser Ort in der letzten Zeit vor dem Kriegsende aus? Ist man dort weiterhin mit Wäsche und um Zigaretten zu holen entlang gegangen? Oder passierte dann an dieser Ecke ganz was anderes?
Diesmal sind wir im Stande, diese Frage zu beantworten und zwar anhand eines Fotos und nicht einer Postkarte. Das Foto datieren wir auf die Jahre 1934-1936. Woher wir es wissen? Gleich wird sich alles aufklären .
Unter der Adresse Langgarten 1, genau an der Ecke, funktionierte in dieser Zeit das Geschäft von Wilhelm Ebner, der sich auf den Handel mit Kaffee und Tee spezialisierte. Man sieht das Schaufenster seines Ladens und das Schild darüber. Zum ersten Mal erscheint es im Adressbuch von 1928 und löst damit den sich dort früher befindenden Laden mit Tabak und Zigaretten von Albert Wetzel (Der allerdings weiterhin Besitzer des ganzen Hauses ist) ab. Sein Nachbar war damals der uns aus früheren Artikeln bekannte Max Kraatz mit seiner Wäscherei. Auf unserem Bild sieht man die Wäscherei jedoch nicht mehr. Also musste irgendwann in der Zwischenzeit an ihrer Stelle die Färberei von Hans Schneider entstanden sein. Anhand der Adressbücher gelang es uns festzustellen, dass dies eben im Jahre 1934 geschah. In den Folgejahren sind dort weiterhin nebeneinander Herr Ebener und Herr Schneider tätig. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kommt an seine alte Stelle wieder der Max Kraatz zurück, während sein Nachbar Herr Ebner ist.
Als nächste Spur bei Entschlüsselung unseres Rätsels könnte das Gebäude mit der Hausnummer Mattenbuden 2 sein. Leider bringt uns der unter dieser Anschrift funktionierende Milchladen von Hedwig Dobberstein nicht weiter…Weil es dort ununterbrochen von 1909 bis mindestens 1942 existierte.
Aber es gibt noch etwas, was uns erlaubt den Zeitrahmen etwas einzuengen. Die Milchkannen-Brücke. Ihr Umbau begann im Herbst 1936. Die umgebaute Brücke wurde im Oktober 1937 in Betrieb genommen. Auf dem Bild sieht man noch die alte Brückenkonstruktion aus der Zeit vor dem Umbau. Und so kommen wir auf den Zeitrahmen 1934-1936.
Und jetzt lassen wir unsere Leserinnen und Leser ganz alleine mit dem Bild für einige Augenblicke.
Na gut. Jetzt überlegt ihr euch bestimmt, warum im Titel unseres Artikels vom Balkan die Rede ist. Was kann der Balkan mit dem Bild aus der Vorkriegszeit zu tun haben?
Alles klärt sich auf, sobald wir das Bild umdrehen und auf der Rückseite folgenden Text lesen:
Rugăm recomandati laboratorul nostru prietenilor Dv. – KECSKEMÈTI –
Was in der Übersetzung aus dem Rumänischen so viel bedeutet wie:
bitte empfehlen Sie unser Labor Ihren Bekannten/Freunden DV. – KECSKEMÈTI –
Kockemeti ist wahrscheinlich ein Nachname, möglicherweise des Fotografen, der dieses und auch die weiteren Bilder aus dieser Serie entwickelt hatte (denn es gibt ja insgesamt 27 von ihm, nur leider zeigt nur das Eine die uns bekannte Gegend).
Wir haben auch versucht die Spur der ungarischen Stadt KECSKEMÈT, zwischen Budapest und Segedin, die den selben Namen trägt, zu verfolgen. Hier passen allerdings die Worte nostru prietenilor auf dem Stempel nicht dazu, denn auch sie sind rumänischer Herkunft.
Es sei denn, dass wir komplett falsch herumirren und es gibt noch eine dritte Erklärung dafür.
Das Bild aus der Vorkriegszeit stammt aus der Sammlung der Geschichtserzähler der Niederstadt. Das Portrait von Wilhelm Ebner aus Gedanopedia. Die Werbung der Färberei aus „Straż Gdańska” – Nummer 12 vom 15 Juni 1934 – Seite 22
Autor: Jacek Górski.
Übersetzung – Andreas Kasperski.