Ruderer am Bahnhof
Es gibt solche Aufnahmen von DANZIG aus der Vorkriegszeit, auf denen man nur ein paar gewöhnliche Häuser sieht und es dadurch schwer fällt die Frage zu beantworten, wo diese gemacht worden sein sollen. Wenn es da keinen Anhaltspunkt gibt wie z.B ein Schaufenster, eine Vitrine, ein Schild an der Wand oder wenigstens einen Teil des Straßennamens – dann muss man damit rechnen, dass solche Aufnahmen niemals identifiziert werden.
Es gibt aber auch solche Aufnahmen, auf die es reicht nur einmal hin zu schauen und sofort weißt man ohne Zweifel welche Ecken unserer Stadt da verewigt wurden. Bei dem hier präsentierten Bild handelt es sich um eine solche Situation. Es gibt in Danzig nur einen Ort, an dem ein solch charakteristisches Häuserpaar wie in der linken, oberen Bildecke stand und immer noch steht. Könnt auch ihr ohne Hilfe sofort erkennen um welchen Ort es sich handelt?
Wir schreiben das Jahr 1930, wie es unten auf dem Bild mit einem Füller notiert wurde. Der Bekleidung mancher Personen nach muss es höchstwahrscheinlich im Sommer gewesen sein. Wir befinden uns auf dem Gelände des Bahnhofs Legetor oder anders gesagt des Südbahnhofs, wenn es jemandem lieber ist. Den genauen Ort kann man identifizieren dank der erwähnten Wohnhäuser, die am Rande des Bahnhofs stehen. Wenn wir die Häuser heute im Jahre 2019 sehen, stellen wir fest, dass sie noch immer genauso ausschauen wie vor fast 90 Jahren.
Eine Gruppe Ruderer scheint gerade aus dem Zug mit ihrer Ausrüstung gestiegen zu sein oder bereitet sich auf die Fahrt vor. Wir behaupten das Erste ist hier der Fall. Vielleicht sind die abgebildeten Personen Mitglieder des im Jahre 1880 gegründeten Rudervereins Victoria oder des polnischen Rudervereins… es wäre interessant zu wissen, wie ihre Ausrüstung vom Bahnhof ans Wasser transportiert wurde. Oder passierten die Ruderer ganz einfach die Straße und ließen auf der gegenüberliegenden Seite des Thornscher Weges ihre Boote ans Wasser…
Auf dem ersten sichtbaren Gleis am Bahnhofsgebäude sehen wir drei kleine Waggons. Von einem unser Leser wissen wir nun, dass es Schlepptender waren, gekennzeichnet mit dem Logo des Versorgungsdepos der PKP (in der Freien Stadt Danzig stand die Bahn unter der Verwaltung der Polnischen Bahnlinien PKP), in denen Wasser und andere Flüssigkeiten für die Dampflokomotiven, bzw. Löschwasser transportiert wurden oder sie dienten als Gleisreinigungszug. Auf der anderen Seite sieht man ein Kettengerät, vielleicht zum Beladen und Entladen der Waggons oder auch für die technische Vesorgung der erwähnten Dampflokomotiven. Und hier die Ergänzung unseres Lesers: dieser kleiner Laufkran diente zum Entladen der Waggons. Sollte es hier auf dem Bahnhof irgendwelche Geräte zum Bedienen von Dampflokomotiven gegeben haben (es scheint mir eher unwahrscheinlich in Anbetracht der Tatsache, dass es in der Nähe den Lokschuppen DANZIG RDZ gab, der auch diesen Bahnhof bediente), dann befanden sie sich am Ende der östlichen Gleise, am Thornscher Weg, dort wo sich der älteste Lokschuppen Danzigs befand. Und eine relativ große Konstruktion steht mit dem Rücken zu uns, ausserdem ein Wagen mit leider unleserlichen Informationen über dessen Besitzer oder die Firma.
In der Ferne sieht man einen Holzzaun, der des Bahnhofsgelände von der Wohngegend trennt. Man erkennt auch einen Teil vom Eingangstor und den Eingang für Fußgänger.
Weiter hinten erkennt man sogar Häuser und Lager, die vor dem Krieg in der Ankerschmiedegasse standen, auf der Seite vom Winterplatz her und auf der Speicherinsel.
Bis jetzt konnten wir noch kein Bild von DANZIG aus der Vorkriegszeit sehen, das uns eine solche Bahn-Perspektive zeigen würde. Vor zwei Jahren beschrieben wir in der gleichen Reihe unter dem Titel „Das älteste Bild von dem Gedrehten“, eine Aufnahme, auf der ein Teil der Bahnhofsbebauung aus der Vorkriegszeit zu sehen war. Wer weiß, vielleicht auch im Jahre 2021 werden wir wieder die Gelegenheit haben ein unbekanntes drittes Bild aus dieser Gegend zu entdecken.
Die Originalaufnahme stammt aus der Sammlung der Geschichserzähler der Niederstadt in Danzig.
Text: Jacek Górski.
P.S Man sieht, dass das Bild aus einem Bildalbum ausgeschnitten wurde. Ob auf den anderen Seiten des Albums andere Aufnahmen dieser Gegend existierten…
P.S. 2 Wir bedanken uns für die Ergänzung der Bildbeschreibung in den Kommentaren
Übersetzung – Andreas Kasperski.