Sperlingsgasse auf Postkarten (Teil II)

Alte Postkarten aus DANZIG (natürlich gilt das auch für Postkarten aus anderen Städten) kann man nach verschiedenen Kriterien sortieren. Herstellungstechnik, Autor, Herausgeber, Stadtteile, Themen, charakteristische Elemente, die dort verewigt wurden (Straßenbahn, Soldaten, Kinder, Tiere, Denkmäler, einmalige Ereignisse und so weiter). Konkretes Jahr, Jahreszeit, Tag oder Nacht oder die Höhe, aus der das Bild gemacht wurde.

Bei dieser Postkarte können wir von noch einem Kriterium oder Unterschied sprechen. Es gibt viele Aufnahmen mit der Ansicht dieser Straße (ganz oder nur einen Teil von ihr). Und dabei sieht man immer einige Häuser in entsprechendem Maßstab. Deutlich weniger Aufnahmen gibt es von der gleichen Straße, auf denen man ein einzelnes Gebäude hervorgehoben sieht, und oftmals ist es auch das einzige Motiv auf der jeweiligen Postkarte. So viele Details, so viele Verzierungen, die man auf einer solchen Aufnahme mit dem bloßen Auge erkennen kann. Und wie viele Geheimnisse können sie hinter sich verbergen…

Wollt ihr ein Beispiel? Hier eins davon. Umso erfreulicher, dass es die Niederstadt betrifft. Vor dem Krieg hiess diese Straße Sperlingsgasse. Sie war zum größten Teil bebaut mit Wohnhäusern in verschiedener Größen. Man kann es genau erkennen auf der Postkarte, die wir in den Sommerferien 2016 hier beschrieben haben. Eines der Mietshäuser auf der rechten Seite, wenn man in Richtung Straßenbahndepot guckt, hatte die Hausnummer 11-12. Einer der Fotografen beschloss, genau dieses Haus auf seinem Bild zu verewigen und daraus entstand später die Postkarte. Zumindest eine Kopie dieser Postkarte ist bis heute erhalten geblieben. Das Mietshaus wurde nach dem damals populären Muster entworfen. Ein Erker über dem Haupteingang zum Treppenhaus. Die gleichen Verzierungen über den Fenstern auf der jeweiligen Etage, aber in jedem Stockwerk andere. Das populäre Motiv einer Muschel ist sichtbar sogar aus größerer Distanz. Verzierte Holzfensterrahmen. Das Bild ist so scharf, dass mein fehlerfrei die Hausnummer über der Eingangstür entziffern kann. Genauso wie die kleinen Drähtchen in der Gaslampe an der Straße. Wie so oft in solchen Fällen, wurde auch hier das natürliche Verhalten einiger Menschen festgehalten. Die meisten von ihnen, wenn nicht sogar alle, wohnten damals in diesem Haus. Vor dem Eingang stehen sieben Personen verschiedenen Alters. Man kann vermuten, dass die zwei Jungs mit Büchern unter dem Arm gerade eben von oder in die nahgelegene Schule in der Schleusegasse gehen. Im Erdgeschoss steht am Fenster ein Mann in Dienstuniform. In der Regel versuchen wir in solchen Fällen zu raten, ob es sich hier um einen Polizisten oder einen Straßenbahnführer handelt… Wir sind leider nicht im Stande diese Frage zu beantworten. In der ersten Etage kann man in einem der Fenster den Kopf eines älteren Mannes mit Glatze erkennen. Und auf der anderen Seite des Erkers schaut aus dem Fenster auf die Straße eine Frau mit Katze. Am interessantesten ist jedoch die zweite Etage. An zentraler Stelle sieht man dort im Fenster eine Frau mit einem Kind. Und es wäre nichts besonderes daran, wenn jemend da nicht die zwei Kreuzchen gemacht hätte, die die Aufmerksamkeit des Betrachters auf dieses und eines der benachbarten Fenster ziehen. Hätte man die Postkarte irgendwo hingeschickt, sollte damit gezeigt werden, wo der Absender gerade wohnt? Oder vielleicht sollte eine andere Information auf diesem Wege überreicht werden, indem man gerade diese Etage gekennzeichnet hat?

Die Nummerierung der Häuser in der Sperlingsgasse hat sich nach dem Krieg nicht verändert. Wenn man sich also mit dem Gesicht zum heute stillgelegten Straßenbahndepot stellt, kann man auf der rechten Seite das hohe Mietshaus mit der Hausnummer 11-12 sehen und, auch wenn es manche überraschen mag, trotz zig Jahre dazwischen, im Jahre 2019 kaum Veränderungen an der Fassade im Vergleich zu dem Bild, das vor dem Krieg veröffentlicht wurde, erkennen. Ihr könnt euch selbst davon überzeugen und bei der Gelegenheit euch auch noch zusätzlich eine Aufnahme dieses Hauses aus dem Jahre 1979 angucken oder indem ihr einen Ausflug in den nächsten Tagen in die Sperlingsgasse macht.

Herausgegeben wurde diese Postkarte in Lichtenberg bei Berlin (heute ein Stadtteil von Berlin) in der Gunther Straße 40. Weil Lichtenberg eine selbstständige Stadt vom 1. April 1907 bis zum 30. September 1920 war, wird es wohl kein Fehler sein zu schätzen, dass auch unsere Postkarte aus dieser Zeit stammt.

Diese Original-Postkarte nicht aus dem Umlauf stammt aus der Sammlung der Geschichtserzähler der Niederstadt in Danzig.

Schwarzweissaufnahme: Artur Wołosewicz. Quelle: Sobiecka L., Kaliszczak M. (ed.), Gdańsk – Dolne Miasto. Dokumentacja historyczno-urbanistyczna, PP Pracownie Konserwacji Zabytków Oddział w Gdańsku Pracownia Dokumentacji Naukowo-Historycznej, Gdańsk 1979.

Autor: Jacek Górski

Übersetzung – Andreas Kasperski.

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