Tragödie an der Brücke nach Gross Walddorf

In jenem März verabschiedete sich der Winter vom Tag zu Tag immer mehr. Das Eis am Umfluter in der Niederstadt fing an zu knirschen und zu brechen. Man konnte es sehen und hören, sowohl von der Neuen Mottlau her als auch dort, wo der alte Wassergraben war, an den Bastionen. Die großen Eistafeln teilten sich in kleinere auf. Hier und dort blieben von einem solchen Eisbrocken nur noch feuchte Flecken übrig. Und von Stunde zu Stunde kamen immer mehr solche feuchten Flecken hinzu. Das Tauwetter war voll im Gange.
Der zehnjährige Junge, der von den Sobiechowskis aus der Kolkowgasse 6/7 (heute Królikarnia Str.), liebte den Winter. Und im Winter liebte er es, auf dem gefrorenen Umfluter zu rutschen, zumal er es nicht weit hatte. Wenn der Frost in die Nase und die Ohren biss, wusste man, dass ihn der größte Spaß mit seinen Kumpels aus der Straße erwartet. Er rutschte dann auf dem Eis von einem Ufer zum anderen und wieder zurück. Er rutschte auch unter der Brücke in Richtung Gross Walddorf. Manchmal lief er auch auf dem Eis bis zu der Steinsprungschanze hinter der Kurve. Er rutschte natürlich auf den Schuhsohlen, denn Schlittschuhe konnten sich seine Eltern nicht leisten. Und er konnte so stundenlang. Doch an diesem Nachmittag war es nicht mehr so frostig wie vorher. Es könnte die letzte Chance gewesen sein auf den Schuhsohlen zu rutschen bevor die Sonne die letzten Eisschichten in Wasser verwandelt. Der Junge verließ seine Freunde und lief als erster den Hang hinunter zum Ufer. Dort blieb er für einen Augenblick stehen. Es fuhr gerade jemand auf dem Fahrrad vom Groß Walddorf her über die Brücke, doch beachtete er den Jungen nicht. Und selbst wenn er was geschriehen hätte, würde es der Junge gar nicht merken, denn er war taubstumm. Der erste unsichere Schritt nach vorne, dann der zweite und der dritte in voller Konzentration, das Eis knirschte unter seinen Füßen, schien aber trotzdem ausreichend stark und stabil zu sein. Der Junge lächelte, drehte sich zu seinen Kumpels, zeigte den Daumen nach oben und selbst überzeugt, dass nach einer solchen Geste und nach einem solchen Test eigentlich nichts mehr passieren kann, machte er den nächsten Schritt und dann passierte es. Das täuschende Eis brach unter dem Gewicht des Jungen und im selben Augenblick fiel er ins eiskalte Wasser. Er konnte nicht schwimmen. Er versuchte mit seinen Händen die umliegenden Eistafeln zu fassen doch seine chaotischen Bewegungen sorgten nur dafür, dass das Eis in noch kleinere Stücke brach. Je mehr er mit seinen Füßen trampelte desto mehr wickelte sich die Schnur (oder was auch immer es war) um seine Füße herum. Ein Schuh löste sich und fiel auf den Grund. Sein Mäntelchen saugte sich voll mit Wasser, so schnell wie ein Schwamm an der Schultafel, an die er nie wieder gehen sollte. Er erinnerte sich gerade noch, dass dieser Schwamm in seiner Schule orange war und dass er keine Wrucken mag… und dass er als Kind es liebte zuzusehen, wie die Regentropfen an den Fensterscheiben hinunter liefen…. aus dem mit Wasser volllaufenden Rachen erklang der letzte stumme Schrei. Und danach erstarrte alles. Die Eisschollen kamen an ihre Stelle zurück und es verschwand jede Spur von dem Jungen aus der Kollkowgasse. Sein bester Freund lief noch hinunter und wollte ins Wasser springen, um ihn zu retten, doch der Verstand und das brüchige Eis haben ihn erfolgreich davon abgehalten. Er stellte sich ans Ufer und blieb stehen wie versteinert. Seinen Kumpels erging es genauso bis einer von ihnen das Schweigen brach und so laut zu schreien begann, um Hilfe zu holen, dass ein ganzer Scharen an Spatzen vor Schreck vom Baum flog. Nach einigen Augenblicken kam eine ganz schöne Menschenmenge zusammen. Unter ihnen auch der besorgte Herr Sobiechowski, der hoffte, dass noch nicht alles verloren sei und sein geliebter Sohn doch noch gerettet werden könne. Leider war es für jede Hilfe schon zu spät. Den Leichnam des Jungen fand man erst 2 Stunden später am Wassergrund… Am 1 November 1927 zündete man an der Stelle, wo sich die große Tragödie ereignete, die ersten Kerzen zum Gedenken an. Und dies tat man auch in den mehr als zehn Folgejahren immer am selben Tag.

Der beschriebene Unfall ereignete sich am Montag, den 8. März 1927, wie „Słowo Polskie” in der 56 Ausgabe vom 10 März 1927 auf der Seite 8 in der Notitz „Tragiczna śmierć chłopca” berichtete oder am Dienstag, den 9 März, wie es laut „Gazeta Gdańska – Echo Gdańskie” vom 10 März1927 auf Seite 4 in der Notitz „Załamał się na lodzie i utonął” heisst (Achtung, hier wurde der Name des Jungen falsch angegeben, also vielleicht stimmt auch das Datum nicht).

Text basierend auf den Zeitungsartikeln vom: Jacek Górski.

Übersetzung – Andreas Kasperski.

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