Vier Frauen
Das Foto, über das wir gleich berichten werden, wurde von Jsidor Rosenberg in seinem Atelier am Poggenpfuhl (Żabi Kruk) 80 aufgenommen. Wir konnten feststellen, dass er ungefähr in den Jahren 1886-1890 unter dieser Adresse arbeitete. Aus der daneben abgebildeten Anzeige von 1888 ist zu entnehmen, dass er seine Dienste auch im Bereich des Verkaufs von Amateurkameras zum Preis von 70 Mark pro Set wie auch die Möglichkeit, sie in Raten zu zahlen, anbot. Im selben Atelier boten ähnliche Dienstleistungen – aber später – Emil Böhm, Alfred Sembritzki und J. Blaschke an.
Eines Tages kamen vier Frauen zu dem Fotografen Rosenberg (vielleicht hatte sich eine von ihnen vorher mit ihm verabredet). Der Fotograf begann, den passenden Hintergrund zu arrangieren und dann die Frauen so aufzustellen, dass sie vor diesem Hintergrund am besten aussehen. Vielleicht gelang es ihm beim ersten Mal oder erst nach mehreren Versuchen ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen. Und als seiner Meinung nach alles bis ins kleinste Detail perfekt war – ging er zu seiner Zauberkiste, aktivierte die Fotoausrüstung, machte ein paar mysteriöse Gesten und seltsame Bewegungen, um endlich dieses kollektive Porträt so gut wie es ihm nur möglich war zu machen. Er verewigte es auf einer Glasplatte und übertrug es dann behutsam auf Papier. Eine der auf dem Foto sichtbaren Frauen könnte die Abzüge dieses Bildes bei ihm dann abgeholt haben.
Das Foto ist auf der Rückseite nicht signiert. Wir wissen also nichts mehr über diese vier Frauen. Aber wozu haben wir doch unsere Fantasie… Vor allem die Fantasie der Geschichtserzählerinnen und der Geschichtserzähler.
Ich sehe eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihnen … Zwei von den Damen haben die gleichen Broschen an ihren Kleidern, ähnliche Frisuren, aber leichten Altersunterschied. Eine hält ein Notizbuch in der Hand… sogar der Schnitt der Kleider ist ähnlich. Vielleicht sind es Schwestern, die in einem Chor sangen … Oder, weil es in der Nähe eine Schule gab, waren es Lehrerinnen, die bestimmte Kleidungsregeln einhalten mussten … Ich habe bei einer von ihnen einen Ehering bemerkt … sie sehen aus wie Damen aus einem Kirchenchor…die gleichen Frisuren…vielleicht von der St.- Trinitatis-Kirche.
Es gab in der Nähe auch eine Schule für Mädchen? Spannend…
Elżbieta Woroniecka
Das sind die vier feinen Töchter des Fotografen. Es gab eine Zeit, in der er seine Fotoausrüstung überprüfen musste. Und er beschloss, einige Testaufnahmen mit seiner Kamera zu machen. Also rief er seine schönen Töchter an und bat darum, für ein solches Foto zu posieren. Später betrachtete er das Endergebnis seiner Arbeit und kam zu dem Schluss, dass er keine Einwände gegen dieses Foto hatte und dass ihm dieser Fotoapparat noch viele Jahre lang gute Dienste leisten würde.
Jacek Górski
Dies sind definitiv vier Schwestern, die in der Alten Vorstadt (Stare Przedmieście) am Wallplatz (Plac Wałowy) wohnten. Solche Fotos ließen sich damals viele Mädchen im heiratsfähigen Alter anfertigen. Vielleicht schlugen es die Eltern vor, ein Foto von ihnen zu machen, damit sie unter Leuten mit ihren Töchtern angeben können. Vielleicht sangen sie tatsächlich in einem Chor, vielleicht war eine von ihnen Lehrerein an der nahgelegenen Victoriaschule. Sie scheinen Intellektuelle zu sein. Vielleicht haben sie sich ihre Kleider extra für diesen Anlass genäht. Immerhin sollte das Foto bis 2021 überdauern.
Anna Nawrocka-Morze
Dieses Foto kann die Mitgliederinnen des Jungfrauen-Vereins aus der Alten Vorstadt präsentieren. Diese Jungfrauen könnten zum Beispiel Kinderbetreuerinnen in einem Kinderheim oder Krankenpflegeinnen in einem Krankenhaus gewesen sein. Privat waren sie definitiv miteinander verwandt und kamen aus einem guten Hause.
Danuta Płuzińska-Siemieniuk
Deren Outfits ähneln denen auf einem Foto aus meinem privaten Fotoalbum. Deshalb glaube ich, dass dieses Bild vom Ende des 19. Jahrhunderts stammen könnte – höchstens von 1910.
Róża Kasperska
Und… wie sind eure Eindrücke von den fünf verschiedenen Szenarien? …
Vielleicht empfindet jemand von unseren Leserinnen und Lesern das Bild ganz anders und bemerkt dabei ein Detail, das wir übersehen haben. Jeder kann mit den Geschichtserzählern zum Sherlock Holmes werden.
Einführung von: Jacek Górski.
Übersetzung – Andreas Kasperski.
Die Anzeige stammt aus der„Danziger Zeitung”. Jg.31, Nr. 17370 (8. November 1888) – Morgen-Ausgabe – Seite 4