Ziege

Vor einiger Zeit meldete sich bei mir über Facebook mein Kumpel Tomek aus Langfuhr und schickte mir einen Link zu einer interessanten Internetseite, auf der man eine recht große Sammlung privater Bilder u.a. aus der Danziger Niederstadt finden konnte. Daraufhin fragte ich den Verwalter dieser virtuellen Bildersammlung, ob wir einige davon auch auf unserer Webseite präsentieren dürften? Herr Krzysztof war damit einverstanden und so veröffentlichten wir nach und nach einige Bilder, die in der Hopfengasse in der Nähe des dortigen Wochenmarktes gemacht wurden. Auf einigen davon sieht man im Hintergrund die Bebauung der Niederstadt.

Im Spätfrühling 2013 beschloss ich, die Geschichte der einzelnen Bilder etwas tiefer zu ergründen und hoffte an der Quelle mehr über den Autor, die Entstehungszeit, die auf den Bildern abgebildeten Menschen, Orte, Tiere und Gegenstände zu erfahren. Eines Samstags am Vormittag ging ich ans andere Ufer der Neuen Mottlau und fing an, an die Wohnungstüren in der Owsiana Str. (Mausegasse) zu klopfen. In einem der ersten Häuser öffnete sie eine Frau mit Kreuzworträtsel in der Hand. Und weil ich selbst seit meiner Kindheit gerne Kreuzworträtsel löse, verstand ich das als ein gutes Zeichen. Ich erzählte ihr mit welcher Angelegenheit ich komme und fragte, ob sie mir dabei helfen könnte. Sie ließ mich rein, schob ihre Brille auf die Nasenspitze und sah sich die ausgedruckten Bilder genauer an. Bei jedem Bild winkle sie mit dem Kopf ab oder sagte direkt, dass sie außer dem Ort sonst niemanden erkennen könne.

KozaBis wir endlich zu dem Bild mit der Ziege kamen. Beachten Sie, dass im Hintergrund Ruinen der Häuser in den Gassen: Steindamm (Kamienna Grobla), Mittelgasse (Dolna), Erichsgang (Przesmyk) und Weidengasse (Łąkowa) zu sehen sind. Man sieht auch, welche Häuser in den genannten Gassen erhalten geblieben sind. Doch die Aufmerksamkeit meiner Gesprächspartnerin zog das, was im Vordergrund zu sehen war. Mehrmals sah sie sich dieses Bild an, klopfte mit dem Finger drauf, sah zu mir hin und sagte – als wäre es nichts Besonderes – „Das hier ist unsere Ziege und das Mädchen mit den Zöpfen, das bin ich! Es war um 1947/48”. Was ich damals fühlte, lässt sich nur schwer beschreiben. Es war eine Mischung aus Überrascht sein, Freude und Aufregung. Ich ging doch los in der Hoffnung, dass ich jemanden treffe, der mir evtl. etwas über die Orte und die damit verbundenen Erinnerungen erzählt. Dass ich jedoch jemanden treffe, der selbst auf den Bildern verewigt ist, das war eine tolle Überraschung für mich. Es stellte sich heraus, dass die Frau mit Vornamen Joanna heißt und die Ziege Kätzchen hieß [nach den Weidenkätzchen]. Sie und ihr Bruder gingen oft auf die Wiesen in der Nähe der Mause-, Kiebitz- und Stützengasse ihre Ziege weiden, die später noch zwei kleine Ziegen auf die Welt brachte. So konnten die Eltern von Frau Joanna ihre Kinder mit frischer Ziegenmilch ernähren. Von dem Geschmack der frischen Ziegenmilch schwärmt sie heute noch. Und dabei vergingen doch zig Jahre seit der Zeit als –wie sich herausstellte- ihr Bruder dieses Bild machte. Er hatte einen Fotoapparat, mit dem er bei jeder Gelegenheit seine Familie, Nachbarn, Besucher, den eigenen Spielplatz und die Umgebung verewigte.

Ich ging glücklich über diese und noch ein paar andere Begegnungen an jenem Tag nach Hause. Die Geschichtserzähler lieben es, Geschichten zu erzählen. Lieben es aber auch, Geschichten anderer Leute zu hören. Vielleich nach dem Lesen dieses Artikels findet sich auch jemand unter Ihnen, der ein Bild aus dem Familienalbum in die Hand nimmt, eine Zeitreise macht und uns seine Erinnerungen teilt, wie Frau Joanna….

Bildautor: Maciej Kalisz, aus der Sammlung von Herrn Krzysztof.

Text: Jacek Górski.
Übersetzung – Andreas Kasperski.

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